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„Der Sudan: Eine Tragödie mit Ansage“

Der Sudan: Eine Tragödie mit Ansage

Der Sudan: Eine Tragödie mit Ansage

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Apenrade/Aabenraa
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Während der Sudan im Chaos versinkt, schaut die Welt zu. Warum die zarte Hoffnung einer Demokratisierung des Landes in weite Ferne rückt, erklärt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.

Zur Person: Jan Diedrichsen

Jan Diedrichsen (Jahrgang 1975), wohnhaft in Berlin und Brüssel, leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel, hat sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ absolviert und war als Journalist tätig. 13 Jahre lang leitete er das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und war Direktor der FUEN in Flensburg. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – davon bis 2021 vier Jahre als Bundesvorsitzender. Seit Juni 2021 betreibt er gemeinsam mit Wolfgang Mayr, Tjan Zaotschnaja und Claus Biegert ehrenamtlich den Blog VOICES.

Im Sudan spielt sich vor laufenden Kameras eine Tragödie ab. Wir sehen vor allem die dramatischen TV-Bilder der Evakuierungen von Personen, die das Land fluchtartig verlassen. Aus ähnlichen Situationen wissen wir, dass die europäische Aufmerksamkeitsspanne nicht lange vorhalten wird. Die mutige Bevölkerung des Sudan wird bald unter Ausschluss des Interesses der Weltgemeinschaft ihren korrupten, mörderischen Eliten sowie dem Kampf um Einfluss und Ressourcen durch Russland, China, der Türkei und den arabischen Diktaturen der Region ausgeliefert sein; es sei denn, sie machen sich ebenfalls auf, um das gebeutelte Land zu verlassen.

Nach der Revolution entstand ein Machtvakuum

Im Sudan erleben wir einen Staatszerfall mit Ansage. Im Jahr 2019 gelang der mutigen Bevölkerung des Landes etwas Unglaubliches: eine Revolution gegen den korrupten und brutalen Machtapparat. Präsident Omar al-Bashir wurde nach rund 30 Jahren Diktatur, wirtschaftlicher Ausbeutung und Völkermord gestürzt – und das gegen alle Widerstände.

Doch die Revolution fraß wie so oft ihre Kinder. Es entstand ein Machtvakuum, um das sich die beiden Hauptkräfte der aktuellen Kämpfe gruppierten. Militär und Milizen des Landes einigten sich, denn Demokratie war für sie nie eine Option. Der Burgfrieden ist nun zerstört, und gefangen im Kreuzfeuer des Machtkampfes ist eine verzweifelte Bevölkerung.

Die sudanesischen Streitkräfte stehen weitgehend loyal zu General Abdel Fattah al-Burhan, dem De-facto-Machthaber des Landes, während die paramilitärischen schnellen Eingreiftruppen (Rapid Support Forces, RSF), eine Ansammlung von Milizen, dem ehemaligen Kriegsherrn General Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemedti, folgen.

Es tobt ein jahrelanger Konflikt

Der Konflikt begann vor über 20 Jahren in der marginalisierten westlichen Region des Landes – Darfur, das den Aufstand probte. Bashir, ein Mann des Militärs, der 1989 durch einen von Islamisten unterstützten Militärputsch an die Macht kam, war nicht bereit, seine Armee in den Kampf zu schicken, schürte stattdessen Stammes- und ethnische Differenzen. Vor allem die grausamen Reitermilizen, die brandschatzend, mordend, vergewaltigend durch Darfur zogen, sind im Westen in Erinnerung geblieben. Die Dschandschawid waren von Omar al-Bashir gegründet worden, um die Rebellion in Darfur niederzuschlagen. Hunderttausende starben, Frauen wurden systematisch vergewaltigt und Millionen vertrieben.  Der Völkermord zog internationale Aufmerksamkeit und Sanktionen nach sich – und der Internationale Strafgerichtshof klagte Bashir wegen Völkermordes an.

Doch im Sudan selbst änderte sich wenig. Die Dschandschawid gingen in die RSF über und wurden unter dem Kriegsherrn Hemedti mächtiger, dessen Ambitionen wuchsen, als Bashir ihm freie Hand ließ, um Einfluss und Vermögen anzuhäufen, solange er ihn schützte. Hemedti hielt seinen Teil der Abmachung jedoch nicht ein und machte sich die Forderungen nach Demokratie im Jahr 2019 zu eigen – und stürzte zusammen mit der Armee den Diktator Bashir. Heute kämpfen die ehemaligen Reitermilizen um die Herrschaft im Land und – grotesk – argumentieren dabei, sie wollten die Demokratie im Lande retten.

Andere Länder wollen Demokratie verhindern

Die Regierungen in Nordafrika und im Nahen Osten haben nach der Revolution von 2019 sowohl die Armee als auch die Milizen unterstützt, um die Aussicht auf eine Demokratie in ihrem Hinterhof zu verhindern. In letzter Zeit hat sich Russland mit den sudanesischen Milizen zusammengetan, um die eigene Position in der Region auszubauen.

So schwand die Hoffnung des Sudan auf eine Demokratie im Gefolge der Revolution von 2019 schnell. Eine zentrale Ursache für die aktuellen Gewaltausbrüche sind die Forderung der Bevölkerung nach einer zivilen Kontrolle des Militärs sowie die Integration der RSF in die regulären Streitkräfte. Ferner wird die Überführung von lukrativen militärischen Beteiligungen in der Landwirtschaft, im Handel und in anderen Industriezweigen in zivile Strukturen gefordert, welche jedoch eine entscheidende Macht- und Geldquelle der Armee darstellen. Weitere Streitpunkte sind das Streben nach Gerechtigkeit mit Blick auf den Genozid im Darfur-Konflikt und eine Aufarbeitung der zahlreichen Morde im Zuge der Revolution des Jahres 2019.

Derzeit versinkt der Sudan im Chaos – die zarte Hoffnung einer Demokratisierung scheint in weite Ferne gerückt.

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